'Neue Frau 2.0',  Fashion

Die ‚Neue Frau 2.0‘: Das Bild der Frau – Geschlechterrollen in den vergangenen 100 Jahren (Teil 4)

Ein Vergleich der ‚Neuen Frau‘ in den Modejournalen der Weimarer Republik mit der Bloggerin auf ihren digitalen Plattformen im 21. Jahrhundert – hört sich im ersten Moment ein wenig abstrakt an, doch in der Artikelserie ‚Die ‚Neue Frau 2.0“ sollen Parallelen und Unterschiede dieser beiden Frauentypen beleuchtet werden. Doch um die Weiblichkeitsentwürfe verstehen zu können, ist es zunächst wichtig die weibliche Entwicklung über einen längeren Zeitraum zu betrachten. Daher soll dieses Kapitel einen groben Überblick über die Frau und ihre Rolle in der Gesellschaft in den vergangenen 100 Jahren, mit einem besonderen Fokus auf den Typus der 1920er und der Gegenwart, geben.

Die ersten Ansätze der modernen Frau, wie wir sie kennen

Einen Großteil der Geschichte über ist die Frau nicht mehr, als die unvollkommene Version des Mannes (Vgl. Wohler 2009: 56). So „[…] sollte sie an seiner Seite >was hermachen<, erotisch wirken, Ausstellungsstück seines Könnens, seines Geldes sein“ (Beuth 1993: 105), jedoch keine eigene Meinung, Lebensvorstellung oder Ziele, die über die des Mannes hinausreichen, haben. Allerdings haben sich bereits im 19. und frühen 20. Jahrhundert einige europäische Frauenbewegungen für die Rechte der Frau starkgemacht, indem sie die festgeschriebenen Geschlechterbilder hinterfragten und den Grundstein für die Etablierung eines modernen Frauenideals, welches sich erstmals nach Ende des Ersten Weltkrieges durchsetzen konnte, legten (Vgl. Kessemeier 2000: 18).
Da der Wandel von Geschlechterbildern nahezu immer mit sozioökonomischen und kulturellen Veränderungen einhergeht (Vgl. Wohler 2009: 41), ist es kaum verwunderlich, dass sich das Geschlechterverhältnis mit dem Beginn der Weimarer Republik, „[…] in dieser Phase des Umbruchs und des Nebeneinanders divergierender ideologischer, politischer, kultureller und sozialer Entwürfe“ (Walter 2011: 255), schließlich in eine Richtung verschoben hat, die neue, zeitgemäße Ideale prägte und ein vermeintlich emanzipiertes Frauenideal mit sich brachte. Dies war die Geburtsstunde der sogenannten ‚Neuen Frau’, deren Name als ein zeitgenössischer Ausdruck für die Gleichberechtigung und Modernisierung des Weiblichkeitsbegriffs steht (Vgl. Kessemeier 2000: 18), und die zu einem Sinnbild einer ganzen Epoche wurde (Vgl. Dogerloh 1993: 44).
So schaffte „[…] die lang herbeigesehnte gesetzliche Gleichstellung der Frau mit dem Mann“ (Haunhorst 2008: 9) die Grundlage einer sozialen und ökonomischen Selbstständigkeit der weiblichen Bevölkerung, das Herausbilden einer eigenen weiblichen ‚Persönlichkeit’ und eine bedeutungsvolle Ausweitung der Lebens- und Erfahrungsräume der Frauen (Vgl. Dogerloh 1993: 28; Kessemeier 2000: 25). „Diese verstärkte Selbstständigkeit und Mündigkeit […] zeigte sich [vor allem] in einer quantitativ wie qualitativ neuartigen Präsenz von Frauen in der Öffentlichkeit.“ (Dogerloh 1993: 28) Während ihnen zuvor hauptsächlich private Räume, wie Haus und Garten, vorbehalten waren und sie den öffentlichen Raum lediglich in männlicher Begleitung betreten konnten, erweiterte sich in den Zwischenkriegsjahren schließlich der weibliche Habitus. Frauen bekamen die Möglichkeit die öffentlichen Straßen, Warenhäuser, Cafés und Büros für sich allein zu entdecken (Vgl. Kublitz-Kramer 1995: 25).

Die ‚Neue Frau‘ – alles für die Oberfläche?

Allerdings definierte sich die ‚Neue Frau’ vielmehr über äußerliche Attribute, wie dem Bubikopf, der schlanken, knabenhaften Silhouette und natürlich der Kleidung, „[…] welche mit den vestimentären Traditionen der Vorkriegszeit radikal brach“ (Bertschik 2005: 180) und als emanzipierter Deckmantel für die noch nicht wirklich emanzipierte Frau diente. So war die Bezeichnung ‚Neue Frau’ eher eine Idealvorstellung, die Figur der ‚Neuen Frau’ eine ideelle Identifikationsfigur, da sie neue Denkweisen und Wertvorstellungen zwar bereits aufnahm, diese aber in ihren alltäglichen Lebenssituationen noch nicht wirklich umsetzte bzw. umsetzen konnte (Vgl. Kessemeier 2000: 31). Jedoch bekam sie auch keine Chance dieses Geschlechtsmodell weiterhin auszutesten, da die Frau mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten und deren tradierten Vorstellungen erneut in den stereotypen, biedermeierlichen Habitus gedrängt wurde.

1960er – der endgültige Wandel?

Erst in den 1960ern und den 1970ern und den damit einhergehenden Aktivitäten diverser Frauenbewegungen (Vgl. Klaus 1998: 28) fand schließlich eine erneute „[…] Loslösung von den bürgerlichen Geschlechterrollenklischees mit der Veränderung der äußerlichen Erscheinung und dem veränderten Umgang mit dem eigenen Körper […]“ (Wohler 2009: 101) statt und die emanzipierte Frau prägte bzw. prägt noch immer das Bild der Gesellschaft. Zur selben Zeit „[…] entwickelte sich [schließlich] eine ausdifferenzierte feministische Öffentlichkeit mit überregionalen und regional verorteten Medien“ (Lünenborg & Maier 2013: 65).
Diese Loslösung aus tradierten Geschlechterrollenklischees ist allerdings nur in einem anti-bürgerlichen Kontext möglich, den wir in der abendländischen Gesellschaft wiederfinden, und so wird die Antibürgerlichkeit des postmodernen Weiblichkeitsbildes über die sexuelle Befreiung und das Ausleben verschiedener Geschlechteridentitäten definiert. Der postmoderne Weiblichkeitsentwurf definiert sich über die Etablierung in kulturellen, ökonomischen und politischen Sphären und der Wahl einer individuellen Lebensform (Vgl. Wohler 2009: 64f.). Während sich die Frauen einen Platz in den bisher männlich geführten Bereichen erkämpft haben und mittlerweile ein Drittel aller Unternehmen gründen, kann in der Gegenwart jedoch noch nicht von einer vollkommenen Gleichstellung der Geschlechter gesprochen werden. Ein Großteil der weiblichen Medien, besonders die Modemedien, propagiert nach wie vor stereotype Geschlechterrollen, die die Frau als das, dem Mann unterwürfige, und weniger fähige Geschlecht darstellen (Vgl. Leutheusser 2000: 122ff.), obwohl die Medienkultur eigentlich über ein breites Rollenrepertoire und verschiedene Themenangebote für Frauen verfügt (Vgl. Lünenborg & Maier 2013: 103).

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Verwendete Literatur:

Bertschik, Julia (2005): Mode und Moderne. Kleidung als Spiegel des Zeitgeistes in der deutschsprachigen Literatur (1770 – 1945), Köln, Weimar & Wien: Böhlau Verlag.
Beuth, Kirsten (1993): Die wilde Zeit der schönen Beine. Die inszenierte Frau als Körper-Masse, in: Sykora, Katharina; Dorgerloh, Annette; Noell-Rumpeltes, Doris; Raev, Ada (Hrsg.): Die Neue Frau. Herausforderung für die Bildmedien der Zwanziger Jahre, Marburg: Jonas Verlag, S. 95.106.
Dogerloh, Annette (1993): „Sie wollen wohl Ideale klauen…?“. Präfigurationen zu den Bildprägungen der »Neuen Frau«, in: Sykora, Katharina; Dorgerloh, Annette; Noell-Rumpeltes, Doris; Raev, Ada (Hrsg.): Die Neue Frau. Herausforderung für die Bildmedien der Zwanziger Jahre, Marburg: Jonas Verlag, S. 25- 50.
Haunhorst, Kerstin (2008): Das Bild der Neuen Frau im Frühwerk Irmgard Keuns: Entwürfe von Weiblichkeit am Ende der Weimarer Republik, Hamburg: Diplomica- Verlag.
Kessemeier, Gesa (2000): Sportlich, sachlich, männlich: Das Bild der >Neuen Frau< in den Zwanziger Jahren. Zur Konstruktion geschlechtsspezifischer Körperbilder in der Mode der Jahre 1920 bis 1929, Dortmund: Edition Ebersbach.
Kublitz-Kramer, Maria (1995): Frauen auf Straßen. Topographien des Begehrens in Erzähltexten von Gegenwartsautorinnen, München: Wilhelm Fink Verlag.
Leutheusser, Ulrike (2000): Das Frauenbild in den Medien, in: Baumann, Heidrun (Hrsg.): »Frauen-Bilder« in den Medien. Zur Rezeption von Geschlechterdifferenzen, Münster: Daedalus Verlag, S. 121-126.
Lünenborg, Margreth; Maier, Tanja (2013): Gender Media Studies. Eine Einführung, Konstanz & München: UVK Verlagsgesellschaft.
Walter, Henrike (2011): „Um Geld oder aus Liebe“: Bilder von Frauen und Männern in Irmgard Keuns Romanen der 1930er Jahre, in: Guddat, Sarah (Hrsg.): Geschlechterbilder im Wandel? Das Werk deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1894 – 1945, Frankfurt am Main: Peter Lang GmbH, S. 253-276.
Wohler, Ulrike (2009): Weiblicher Exhibitionismus: Das postmoderne Frauenbild in Kunst und Alltagskultur, Bielefeld: transcript Verlag.

Photo Credit: Die Dame (Ullstein Verlag)/Unsplash

4 Comments

  • Wonderful Fifty

    Hallo Marvena, was für ein toller und vor allem auch interessanter Beitrag. Die Entwicklung der Geschlechterrollen hast du hier ja wunderbar recherchiert und übersichtlich dargestellt. Es ist für uns Vieles gar nicht vorstellbar, wie etwa, dass früher die Frauen das Einverständnis des Mannes brauchten, um berufstätig zu sein, dennoch sind wir noch nicht bei der vollständigen Gleichberechtigung angelangt.
    Hab einen wunderbaren Frühlingstag und alles Liebe Gesa
    https://www.wonderfulfifty.at

    • Marvena Ratsch

      Hi Gesa,
      vielen lieben Dank für dein ausführliches Feedback! 🙂
      Über solche Kommentare freue ich mich ganz besonders. Bis ich mich mit diesem Thema ein wenig intensiver auseinandergesetzt habe, habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht und unseren heutigen Stand als „selbstverständlich“ betrachtet. Doch, dass es soweit gekommen ist, haben wir vor allem den mutigen Generationen in den 1920ern und den 1960/70ern zu verdanken! 🙂

      Hab auch einen sonnigen und entspannten Tag!☀️

  • Krissi

    Das ist ein super interessantes Thema. Ich bin einerseits sehr dankbar dafür, dass die Frauengenerationen vor mir für unsere Rechte gekämpft haben und ich jetzt so frei leben darf wie ich es tue. Andererseits finde ich es aber auch krass, dass sie überhaupt dafür kämpfen mussten. Für Menschenrechte sollte man doch nicht kämpfen müssen? Die Geschichte der Frauenrolle ist wirklich erschreckend, aber auch inspirierend wenn man das frühere mit dem heutigen, modernen Frauenbild, zumindest in der westlichen Welt, vergleicht.

    Ich bin gespannt auf weitere Posts zu diesem Thema.

    Liebe Grüße und noch ein schönes Wochenende,
    Krissi von the marquise diamond
    https://www.themarquisediamond.de/

    • Marvena Ratsch

      Liebe Krissi,
      vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar!
      Ja, es ist wirklich erschrecken, wie hart Frauen dafür kämpfen mussten, um den Männern ebenbürtig zu sein. Eigentlich sollte man wirklich nicht für seine Rechte kämpfen müssen, doch man muss sich ja auch heute nur umschauen – wie viele Menschen können Gleichberechtigung, freie Meinungsäußerung und Co. nicht als selbstverständlich betrachten?!?

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