'Neue Frau 2.0',  Fashion

Die ‚Neue Frau 2.0‘: Verlust der kulturellen Vielschichtigkeit? Die Frau als Opfer und Antrieb der Konsumgesellschaft des 20. und 21. Jahrhunderts (Teil 6)

Ein Vergleich der ‚Neuen Frau‘ in den Modejournalen der Weimarer Republik mit der Bloggerin auf ihren digitalen Plattformen im 21. Jahrhundert – hört sich im ersten Moment ein wenig abstrakt an, doch in der Artikelserie ‚Die Neue Frau 2.0‘ sollen Parallelen und Unterschiede dieser beiden Frauentypen beleuchtet werden. Nachdem in den ersten vier Teilen Grundlagen zu dem gesellschaftlichen Stand von Modejournalen in der Weimarer Republik, zu dem digitalen Phänomen Modeblogs und zu der Entwicklung des Frauenbildes in den vergangenen 100 Jahren beleuchtet wurden, bauen die nun folgenden Artikel auf diesen Erkenntnissen auf. In dem heutigen Artikel soll vor allem herausgearbeitet werden, inwieweit die in den Modejournalen der Weimarer Republik repräsentierte ‚Neue Frau‘ und die Modebloggerin des 21. Jahrhunderts als Opfer der in den vergangenen 100 Jahren entstandenen Konsumgesellschaft gesehen werden kann. 

Kulturelle Ansätze in den Modejournalen der 1920er

So oberflächlich und konsumorientiert die Zeit in der Weimarer Republik auch erscheint, in den Modejournalen der Zwischenkriegsjahre stand den oberflächlichen Themen Mode und Kosmetik ein mannigfaltiges Kulturangebot gegenüber. Nachdem Frauen jahrhundertelang lediglich mit oberflächlichen Lebensbereichen, wie der Mode, assoziiert wurden, brachen sie in der Weimarer Republik erstmals aus ihrem kulturell eingeschränkten Habitus aus, was besonders an der inhaltlichen Aufbereitung der Modejournale deutlich wird. Auf neutraler Ebene betrachten – also unabhängig von den weiblichen Inszenierungen und Widersprüchen, die die Zwischenkriegsjahre geprägt haben – wurde die ‚Neue Frau‘ in den Modejournalen als ein ausgesprochen kulturell vielseitiges Wesen präsentiert.
Sie „[…] wurden sowohl als perfekte Sportlerinnen, Autofahrerinnen wie auch als geschickte Selbstschneiderinnen und kompetente Hausfrauen und Mütter dargestellt“ (Kessemeier 2000: 45). Sowohl Berichte über Sportarten und Sportveranstaltungen, insbesondere dem Skifahren, dem Badesport oder dem Tennis als auch Tipps rund um das Autofahren, Rezepte und Anleitungen für textile Arbeiten erschienen in den Modemagazinen (Vgl. Die Dame Ende Juli 1919; Die Dame Ende Februar 1922). Kulturell wertvolle, literarische Modereflexionen (Vgl. Bertschik 2005: 183), Novellen, wie Frauen von Vicky Baum, und lyrische Werke wurden ebenfalls regelmäßig veröffentlicht (Vgl. ebd. Ende Februar 1922; ebd. Mitte Juni 1923), sodass die Modejournale Schriftstellerinnen und Künstlerinnen eine Plattform für ihre Stimmen boten (Ganeva 2008: 38). Komplettiert wurde der Inhalt der Magazine schließlich durch einen Großteil von Porträts und Modestrecken mit bekannten Gesichtern aus Film und Theater, die zum einen als ein Vorbild der weiblichen Generation fungierten und die Verbraucherin bei ihrer Modeauswahl unterstützten (Vgl. Follmann 2010: 66) und zum anderen „[…] eine verkaufsförderliche Stimmung erzeugen“ (Lehnert 2013: 103) sollten.

Die Weimarer Republik: Der Grundstein für die heutige Konsumgesellschaft

So wurde in den Modejournalen ein Frauenbild präsentiert, welches den Alltag normaler Frauen ausblendete. Die Medien zeigten eine Frau, die ihr Leben genießt und deren Inszenierung in einer Luxuswelt keinerlei Ähnlichkeit zu der Welt der normalen Leserin hatte (Vgl. Follmann 2010: 68-107). Allerdings waren die Modejournale nicht nur kulturelle Produkte. In der Weimarer Republik entwickelten sie erstmals einen ausgesprochen starken kommerziellen Charakter. Dies liegt darin begründet, dass Mode im Kontext menschlichen Handelns durch oder mit materiellen Objekten ein konstitutives Element der Konsumkultur ist (Vgl. Lehnert 2013: 94) und ihre Entstehung unmittelbar mit der Entstehung des europäischen Kapitalismus zusammenhängt (Vgl. ebd. 1998a: 7), dessen Einfluss um die Jahrhundertwende immer bedeutender wurde.
Diese starke Kommerzialisierung war den mit der Weimarer Republik einhergehenden technischen Fortschritten in der Textilindustrie geschuldet, die den Frauen erstmals das „[…] ästhetische Vergnügen am Wechsel der äußeren Formen, die Lust am immer Neuen […]“ (ebd.: 7) bereiteten. Dies spiegelte sich wiederum in den Inhalten und vor allem an den zunehmenden Werbeanzeigen in den Modejournalen, als Konsumobjekt (Vgl. ebd. 2013: 106) wider. Die Dame versorgte ihre Leserschaft alle zwei Wochen mit den aktuellsten Kleidermoden und den passenden Anlaufstellen, wie Kaufhäusern, Pelzhändlern etc. und lehrte sie dabei zu „scheinen“ (ebd. 2001: 160), sodass die Verbraucherrolle nicht nur „[…] zu einer grundlegenden Veränderung der geschlechterspezifischen Trennung zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre […]“ (Carter 2009: 155) beitrug, sondern auch in den Fokus der Modejournale gerückt wurde. In diesem Fall bewegte sich die in den Modejournalen repräsentierte ‚Neue Frau‘ zwischen den Bildern der gesellschaftlich unerwünschten Verschwenderin und der aufopferungsvollen Hausfrau als gute Konsumbürgerin (Vgl. Carter: 155).

‚Neue Frau‘ und der Konsum: Nur eine Vorstufe der Modebloggerin?

So konsumorientiert die ‚Neue Frau‘ in der Weimarer Republik auch war, im Gegensatz zu der auf den Modeblogs repräsentativen Bloggerin ist der erste Frauentypus lediglich eine soziale Vorstufe, denn während sich nach dem Ersten Weltkrieg auch in Deutschland die Euphorie gegenüber der großstädtischen Warenhauskultur in der (weiblichen) Gesellschaft ausbreitete (Vgl. Bertschik 2005: 208) und die Frau – laut Schätzungen des Fachblatts der deutschen Werbewirtschaft 1932 – 85 Prozent aller Waren kaufte (Vgl. Loreck 1993: 13), ist eine deutliche Steigerung dieses ausschweifenden Konsums in der digitalen Gegenwart zu beobachten.
In den Zwischenkriegsjahren waren es vor allem die Anzeigen von Kaufhäusern in den Modejournalen (Abb. 2), während Modebloggerinnen auf ihren digitalen Plattformen mit verlockenden Rabattcodes für die noch viel leichter zugänglichen Kaufhäuser des digitalen Zeitalters – den unzähligen Online-Shops im World Wide Web – werben (Abb. 3). Auch über ihre bildliche Repräsentation, die Mode an ‚realen Menschen‘ in ‚alltäglichen Situationen‘ zeigt, wird eine scheinbare Nähe zur Lebenswelt der Leserinnen und damit einhergehend auch zur Konsumentinnen aufgebaut, wodurch diese beiläufige, konsumfertige Fassung die Hemmschwelle des Konsumverhaltens der Leserinnen deutlich herabsetzt (Vgl. Titton 2010). Modeblogs fungieren somit als digitale Schaufenster in denen die Bloggerinnen die Position einer Schaufensterpuppe einnehmen, die wie ein imaginäres Spiegelbild wirkt. Es zeigt Möglichkeiten auf, die das Begehren nach dem Selbst, was man sein könnte, wecken (Vgl. Lehnert 2013: 107). „Der Kontext der Selbstdarstellung ist jedoch niemals frei von ökonomischen Implikationen, im Gegenteil. Ihre Voraussetzung ist ein hoch entwickeltes wirtschaftliches System und Potenzial […]“ (Follmann 2010: 69) und so wird „[…] die Frau in ihrer Rolle als Verbraucherin […]“ (Carter 2009: 166), vielmehr als Opfer des modischen Konsums, noch stärker akzentuiert bzw. sie wird von ihresgleichen in diese Position hineingedrängt.

Modebloggerinnen als Antriebskraft von Fast Fashion

In diesem Zusammenhang entwickeln sich neue Trends rapide auf den Modeblogs und den sozialen Medien, was wiederum zu einer Beschleunigung des Kommunikationskapitalismus führt. So leistet dieser leicht zugängliche und konsumorientierte Inhalt einen enormen Beitrag zu der rasanten Entwicklung von Fast Fashion und der sich immer schneller drehenden Spirale von Modeproduktion und -konsum (Vgl. Eismann 2015: 178). Dieser rasante Wechsel der Mode und der damit verbundene Konsum lassen sich, unter Berücksichtigung von Simmels Theorie, mit dem Zustand des aktuellen Zeitalters begründen.
Modebloggerinnen leben in einem derart nervösen Zeitalter, bedingt durch die mit der Digitalisierung einhergehenden Schnelllebigkeit, indem der Wechsel von Moden die Abgestumpftheit der Nervenreize anzeigt. Das Wesen der Mode besteht eigentlich darin, dass lediglich ein Teil einer Gruppe sie ausübt, doch im Zuge der starken Demokratisierung von Kleidermoden, die maßgeblich von den Modeblogs vorangetrieben wird, wird diese allerdings in kürzester Zeit von dem Großteil der Gruppe, in diesem Fall von den Leserinnen und Followerinnen, übernommen. Um sich jedoch wieder von der breiten Masse absetzten zu können, wechseln die Modebloggerinnen bereits nach kürzester Zeit zu einem anderen modischen Trend (Vgl. Simmel 1905: 107). So werden die Frauen zu Symbolen für das moderne Leben als Ganzes, indem sie ein Teil der Konsumöffentlichkeit sind (Vgl. Carter 2009: 163) und die kulturelle Vielschichtigkeit wird verdrängt.
Wie bereits eingangs erwähnt, findet seit einigen Jahren jedoch ein umgekehrter Trend statt (wie es auf dem Blog von Jana Wind zu beobachten ist). Der Fokus liegt vermehrt auf gesellschafts- und konsumkritischen Themen, die der Leserschaft einen gewissen kulturellen Mehrwert bieten, der in den Modejournalen der Weimarer Republik stets vorhanden war, und zum Hinterfragen des weiblichen Konsumverhaltens anregen.

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Verwendete Literatur:

Bertschik, Julia (2005): Mode und Moderne. Kleidung als Spiegel des Zeitgeistes in der deutschsprachigen Literatur (1770 – 1945), Köln, Weimar & Wien: Böhlau Verlag.
Carter, Erica (2009): Frauen und die Öffentlichkeit des Konsums, in: Haupt, Heinz-Gerhard; Torp, Claudius (Hrsg.): Die Konsumgesellschaft in Deutschland 1890-1990. Ein Handbuch, Frankfurt & New York: Campus Verlag, 154-171.
Eismann, Sonja (2015): An den Rändern der Hauptstraße. Street Style Blogs zwischen kommunikativem Kapitalismus und dessidenter Artikulation, in: Gürtler, Christa (Hrsg.): Kleiderfragen. Mode und Kulturwissenschaft, Bielefeld: transcript Verlag, S. 177-192.
Follmann, Sigrid (2010): Wenn Frauen sich entblößen…. Mode als Ausdrucksmittel der Frau der zwanziger Jahre, Marburg: Jonas Verlag.
Ganeva, Mila (2008): Women in Weimarer Fashion. Discourses and Displays in German Culture. 1918 – 1933, Rochester, NY: Camden House.
Kessemeier, Gesa (2000): Sportlich, sachlich, männlich: Das Bild der >Neuen Frau< in den Zwanziger Jahren. Zur Konstruktion geschlechtsspezifischer Körperbilder in der Mode der Jahre 1920 bis 1929, Dortmund: Edition Ebersbach.
Lehnert, Gertrud (1998a): Mode, Weiblichkeit und Modernität, in: Lehnert, Gertrud (Hrsg.): Mode Weiblichkeit und Modernität, 1. Aufl., Dortmund: edition ebersbach, S. 7-19.
Lehnert, Gertrud (2013): Mode. Theorie, Geschichte und Ästhetik einer kulturellen Praxis, Bielefeld: transcript Verlag.
Lehnert, Gertrud (2014 [2001]): Der modische Körper als Raumskulptur, in: Lehnert, Gertud; Kühl, Alicia; Weise, Katja (Hrsg.): Modetheorie. Klassische Texte aus vier Jahrhunderten, Bielefeld: transcript Verlag, S. 154-164.
Loreck, Hanne (1993): Das Kunstprodukt »Neue Frau« in den zwanziger Jahren, in: Waidenschlager, Christine; Berlin Museum (Hrsg.): Mode der 20er Jahre, Tübingen & Berlin: Ernst Wasmuth Verlag. S. 12-19.
Simmel, Georg (2014[1905]): Die Philosophie der Mode, in: Lehnert, Gertud; Kühl, Alicia; Weise, Katja (Hrsg.): Modetheorie. Klassische Texte aus vier Jahrhunderten, Bielfeld: transcript Verlag, S. 105-112.

Verwendete Forschungsmaterialien:

Die Dame, Heft 20, Ende Juli 1919.
Die Dame, Heft 10, Ende Februar 1922.
Die Dame, Heft 17, Mitte Juni 1923.

Abbildungsverzeichnis:

Abb. 2: Anzeigen von Kaufhäusern (aus: Die Dame)

Abb. 3: Beispiel eines Rabattcodes einer Bloggerin

Photo Credit des Titelbildes: Photo by freestocks on Unsplash

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